Ostseezeitung                                                                         Donnerstag, 25. Juli 2002

Plädoyer für ein fettes Steak

Passend zur Gartenparty-Saison sagen Wissenschaftler aus Dummerstorf bei Rostock drögem Rindfleisch den Kampf an.

 

Dr. Jochen Wegner vom Dummerstorfer Institut inmitten seiner Forschungsobjekte  –  die Rinder sehn's gelassen.

Dummerstorf
(OZ) Magere Steaks für dicke Menschen – so lautete über Jahrzehnte die Devise von Ernährungsphysiologen und Züchtern. Doch mit dem Fett verschwand leider auch der Geschmack aus dem Fleisch.   Generationen von Hobbyköchen und Hausfrauen haben deshalb das magere Ergebnis moderner Züchtungsforschung am Herd unterlaufen: mit einer dicken Scheibe Speck oder einem schönen Batzen Kräuterbutter. Für den Grillrost freilich erweist sich zumindest Rindfleisch nach wie vor als ungeeignet. Es ist zäh und schmeckt einfach fad.
   Dr. Jochen Wegner vom Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere in Dummerstorf bei Rostock, möchte dem Verbraucher nun das zurückgeben, was Züchter in jahrzehntelanger Arbeit reduzierten  – das Fett im Muskelfleisch. Die „Marmorierung“, also die Einlagerung von Fettzellen, sei eine ganz wesentliche Qualitätseigenschaft vor allem von Rindfleisch. „Marmoriertes Steak ist besser zu kauen, eben zarter als seine mageren Pendants“, erklärt der Fleisch-Forscher. Und, „noch viel wichtiger: Fett ist der Geschmacksträger“.   Rindfleisch hinter deutschen Ladentischen enthält üblicherweise drei, vier, maximal fünf Prozent Fett im Muskelfleisch. Sieben bis zehn Prozent müssten es nach Auskunft des Forschers schon sein, um Rindersteaks wie eine Bratwurst oder ein Kammsteak grillen zu können.   In den USA und Kanada und erst recht in Japan schätzt man das Muskelfett als Geschmacksspender. Die japanische Rinderrasse Wagyu weist 30 Prozent Fett im Muskelfleisch auf und gilt als Delikatesse. Freilich hat die auch ihren Preis. In Tokio zahlt man zehn Euro – für nur 100 Gramm Rind-Fleisch vom Wagyu. Dafür mästen Japaner ihre Rinder mit rund zehn Kilogramm Kraftfutter pro Tag. Das besteht aus Gerste, Soja-Extraktionsschrot oder Rübenschnitzeln mit Mineralstoffen versetzt.   Leider wird mit hochwertigem Getreide nicht nur die Marmorierung im Muskelfleisch produziert. Fett entsteht im gesamten Körper und unter der Haut. In den USA fallen erkleckliche Mengen an sogenanntem Schlachtkörperfett an – teuer ermästet, aber unbrauchbar für die Ernährung. Deshalb geht es den Forschern am Dummerstorfer Institut nicht um fettere Rinder schlechthin. „Wir wollen Rinder, die vor allem im Muskel Fett ansetzen“, sagt Jochen Wegner.
   Die wissenschaftliche Frage lautet: Wie lässt sich die Fetteinlagerung unterschiedlich steuern? Aus der Humanmedizin weiß man, dass Dickleibigkeit nicht nur eine Sache der Ernährung, sondern auch der Veranlagung ist. Die Blauen Belgier, eine europäische Rinderrasse, sind mit 0,5 Prozent intramuskulärem Fett reinste Muskel-Pakete. Und bis zu den 30 Prozent Fett bei den japanischen Wagyus gibt es jede Menge genetischer Variationen.   Deshalb interessieren die Forscher sich vor allem für die Gene von Hormonen, Enzymen oder Rezeptoren, die bei der Einlagerung von Fett eine Rolle spielen könnten. Zu den interessanten Substanzen zählt das Leptin, ein 1994 entdecktes Protein, das von Fettzellen ausgeschieden wird und im Hirn über einen entsprechenden Rezeptor eine Art Sättigungsgefühl bewirkt. Auch das Enzym Lipoprotein-Lipase ist ein Schlüsselmolekül zur Regulation des Fettstoffwechsels. In Dummerstorf verglich man die Mechanismen dieser Moleküle in unterschiedlichen Fett-Depots von Tieren. Dabei fanden die Forscher um Dr. Wegner Abweichungen in der so genannten messenger RNA, die Auskunft gibt über die Aktivität der „zuständigen“ Gene. Für Wissenschaftler „ein Hinweis darauf, dass es unterschiedliche Regulationsmechanismen für die einzelnen Fett-Depots geben müsste“.   Die Dummerstorfer Forscher wenden sich jetzt Faktoren zu, die die Umwandlung von Vorläufer-Fettzellen in Adipozyten regeln. Man hofft mit ihrer Hilfe den Fettaufbau im Muskelfleisch, und nur dort, beschleunigen zu können. Bis zum zarten Rindersteak auf Party-Grills in deutschen Gärten freilich ist es noch ein langer Weg. Und für Kurzgebratenes in der Pfanne gilt weiterhin: Man nehme viel Speck und Kräuterbutter.
REGINE RACHOW